Der Traum
Heute schlägt sie wieder voll zu: Die Spastik, die leider bei mir zu einem der schwierigsten Symptome gehört, die die MS für mich zu bieten hat. Ich versuche mal, ein wenig zu beschreiben, wie sich das ganze anfühlt. Bei mir ist das linke Bein, das grundsätzlich mein „schlechteres“ Bein ist, stärker davon betroffen, als das rechte. Es äußert sich beim Aufstehen darin, dass ich unglaublich steif bin. Aus dem Bett in die Aufrichtung zu kommen, ist die erste Herausforderung, der Weg ins Bad die zweite. Die Knie kleben aneinander, es ist nur schwer möglich, die Beine in die Streckung zu bringen und wenn, dann schießt häufig sofort die Spastik ein, was auch schmerzhaft sein kann, und dazu führt, dass die daraus resultierende Steife ein Anwinkeln beispielsweise der Kniegelenke unmöglich macht. Versucht mein Mann mir in diesem Zustand eine Treppe hochzuhelfen, indem er hinter mir stehend mein Bein knickt und eine Stufe nach oben befördert, ist das nicht möglich, denn das Gelenk lässt sich nicht knicken. Gehen – auch mit dem Rollator – ist nur schwer möglich und so krieche ich im Schneckentempo den Flur entlang.
Diese Symptomatik ist nicht immer gleich. Es gibt gute und schlechte Tage. Im Winter ist es wesentlich schlimmer als im Sommer. Da ich mit Medikamenten, die diese Spastik reduzieren, keine guten Erfahrungen gemacht habe und sie schlecht vertrage, besteht meine Haupttherapie im Fahrrad fahren. Dazu habe ich ein medizinisches Fahrrad, mit dem ich die Beine passiv und aktiv durchbewegen kann.
Zusätzlich zu der Steifheit kommt bei MS, dass die Beine unglaublich schwer sind. Es ist je nach Tagesverfassung so, als hätte jemand Eisen oder Steine an meinen Beinen festgemacht.
Sicher verstehst du nach dieser kurzen Beschreibung, wieso mich ein Lied schon seit vielen Jahren sehr anspricht und mir geradezu plastisch aus der Seele spricht. „Take the shackles off my feet so I can dance”, heißt es.
https://www.youtube.com/watch?v=i1L2lToMlB4
Frei übersetzt etwa: “Nimm diese Fußfessel von meinen Füßen, damit ich tanzen kann.“ Das Lied spiegelt diese festgehaltenen Beine, meine Situation, meine Sehnsüchte und meine Hoffnung sehr stark wider und so hat es mir wieder mal Tränen beschert, als ich es eben angehört habe. Es macht mir aber auch Mut, weiter zu hoffen, zu glauben und zu beten.
„Denn siehst du, ich war so lange unten und es schien als wäre alle Hoffnung verloren. Aber während ich meine Hände erhebe (um Gott zu loben), verstehe ich, dass ich dich durch meine Umstände preisen soll.“ Und auch „du hast die Ketten zerbrochen, nun kann ich dich preisen“. Zugegeben: Dieses Loben und Preisen ist nicht immer leicht, gelingt mir manchmal gar nicht, denn oft ist es mir nach allem anderen als nach loben und das ist okay. Aber dieses Loben ist auch befreiend, denn es wendet den Blick von meinen Umständen weg auf den hin, der größer ist als alles.
Der Traum bleibt, auch nach den vielen, vielen Jahren des Wartens: Ich möchte wieder tanzen!