Der zweite Blick

Es war an einem Dienstag. Wir sind einkaufen und ich fahre in meinem Rollstuhl wie üblich die Gänge rauf und runter, als ich plötzlich einen etwa 7-jährigen Jungen höre, der zu mir rüber schaut und begeistert in Richtung seiner Mutter ausruft: „Wow, so einen möchte ich auch haben!“ Dieser Ausruf der Bewunderung gilt meinen E-Rollstuhl. Seine Mama beschwichtigt ihn mit den Worten: „Nein, sei froh, dass du den nicht brauchst!“ Ich amüsiere mich über seine Begeisterung, die auch nach der Erklärung seiner Mutter nicht abreißt. Er begutachtet noch mein Display, kommentiert den Akkustand und wir wechseln ein paar Worte.
Irgendwie ist es typisch für Kinder. Sie sehen mein „tolles“ Fahrzeug und erkennen in ihm hauptsächlich Fun und Action. Was sie nicht sehen, sind die etwas manövrierunfähigen Beine, die damit einhergehen. So sind Kinder eben.

Aber wirklich nur Kinder?

Sind wir Erwachsenen nicht oft genauso? Okay, wir rufen es nicht in die Welt hinaus, aber tauchen in unserem Innern nicht manchmal oder sogar öfter genau solche Gedanken auf? Und das nicht nur an Weihnachten!

Wir betrachten das vermeintliche Glück eines anderen und wünschen wir hätten es auch … den Reichtum, das schöne Haus, das tolle Auto, den Partner, die Kinder, den Beruf, das Ansehen, das Aussehen und was es sonst noch so gibt. Dabei betrachten wir, wie der Junge im Supermarkt, nur die schöne Seite der Dinge, die wir gerne hätten, vergessen oder übersehen dabei aber völlig, dass auch Verantwortung, Sorgen, Nöte, Stress ein Teil des Deals sind. Denn ein schönes Haus muss nun mal geputzt und gepflegt werden, an einer Beziehung muss man arbeiten, Kinder sind ein Garant für schlaflose Nächte und so mancher Beruf bringt viel Stress mit sich.
Wenn wir uns also mal wieder bei Gedanken ertappen, die ein bisschen wie Neid aussehen, lohnt es sich, einen zweiten Blick auf die Sache zu werfen, die wir beneiden, um dann möglicherweise festzustellen, dass der Preis für das, worauf wir neidisch sind, vielleicht höher ist, als wir bereit sind zu bezahlen.